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13. September 2023
Rahel von Känel hat im August auf der Freilichtbühne des Landschaftstheaters Ballenberg eine Schwingerin gespielt, die es auch mit ehemaligen Schwingerkönigen aufnimmt. Neben ihrem Engagement als Schauspielerin arbeitete die 22-Jährige, die früher den Schwingsport betrieben hatte, Vollzeit in ihrem angestammten Beruf als Malerin.
«Applica»: Frau von Känel, Sie haben mit Schwingen aufgehört wegen einer Verletzung, die Sie sich 2020 zugezogen hatten. Hat Sie das nicht behindert, als Sie vier Mal pro Woche auf der Freilichtbühne gegen einen Schwingerkönig angetreten sind?
Rahel von Känel:
Eigentlich nicht. Für die Schwünge, die ich im Ballenberg gemacht habe, reichte es schon noch.
Da gab es keine Überraschungen?
Nein, das war alles einstudiert. Wir hatten alle Schwünge vorher angeschaut und gemeinsam ausgewählt. Das war noch vor den ersten Proben im Ballenberg, im Schwingkeller in Reichenbach. Einer dieser Schwünge ist übrigens der Wyberhagge.
Diese abgesprochenen Schwünge sollten auf der Freilicht-Bühne dann echt aussehen?
Ja klar, Schwingen kann man nicht «faken». Deswegen hatten sie mich engagiert, weil ich es schon konnte. Jemand, der nicht schwingen kann, könnte diese Rolle niemals ausfüllen. Wie unser Regisseur treffend sagte: Es ist einfacher, einer Schwingerin das Schauspielern beizubringen als umgekehrt.
Vier Schwingerkönige haben abwechselnd die Rolle Ihres Gegners gespielt, wie war das für Sie?
Es machte Spass. Der Stucki Christian wurde vom Live-Publikum am lautesten begrüsst, den kennt halt jeder. Der Sempbach Matthias ging vor jedem Kampf zum Brunnen, so wie er es früher auch tat. Überhaupt war es spannend zu sehen, wie alle vier Könige den Text etwas anders ausschmückten. Das fand ich cool, weil ich merkte, wie dadurch jeder sich selbst bleiben konnte.
Waren Sie sofort begeistert, als Sie für diese Rolle angefragt wurden?
Am Anfang hatte ich etwas Angst, weil ich wirklich nicht wusste, was da auf mich zukommt. Doch dann konnte ich es geniessen, es machte wahnsinnig viel Spass und ich bin froh, dass ich diese Chance ergriffen habe. Aber anfangs … Nur schon das Auswendiglernen! Das hatte ich noch nie gemocht, ich wusste nicht, ob ich das kann. Immerhin war es die Hauptrolle und dadurch hatte ich auch am meisten Text zu lernen, etwa 50 Seiten. Ich befürchtete, das würde mir noch zum Verhängnis werden, doch es kam gut.
Gab es keinen Einflüsterer?
Auf einer Freiluftbühne gibt es das nicht, sie hat ja nicht einmal ein Dach über dem Kopf! Mit einem solchen geschützt wird nur das Publikum. Wir spielten auch bei Regen, wenn es sein musste. Da waren wir Schauspieler am Ende der Vorstellung auch mal patschnass, während das Publikum im Trockenen applaudierte.
Das ist ihre erste Erfahrung auf einer grossen Bühne als Schauspielerin, was fiel ihnen am schwersten?
Wie spiele ich Freude? Wie bringe ich Freude rüber, und zwar so, dass das Publikum es mir abnimmt. Komischerweise fiel mir das nicht leicht, obwohl ich eigentlich ein geselliger Mensch bin, der gern viel lacht. Bei der Arbeit, beim Autofahren, unter der Dusche: Immer wieder und überall hole ich ein freudiges Lachen aus mir heraus. Im Stück hatte ich einen Wutanfall und begann zu saufen … Wut, Trauer und Weinen sind mir viel leichter gefallen. Doch nach viel Übung und etwas Coaching nahm man mir auch die Freude ab.
Wie hatten Sie es mit Lampenfieber?
Ich war nie nervös vor einer Vorstellung, obwohl man sagt, dass das gut wäre. Ich hatte auch keinen Grund dazu, da die Rolle der Marlis auf mich zugeschnitten war. Ich spielte praktisch mich selbst.
Wollen Sie in Zukunft weiterhin Theater spielen? Auch andere Rollen?
Eine so grosse Rolle gleich als Erstes, das ist schon etwas sehr Besonderes. Das wird es so schnell nicht mehr geben. Doch für mich hat sich eine neue Welt aufgetan, das Theaterfieber hat mich gepackt und ich will weiter machen. Vorläufig arbeite ich als Malerin weiter, aber irgendwann in der Zukunft könnte sich das ändern. Der Regisseur meinte übrigens, ich werde wohl Schauspielerin werden. Das freut mich natürlich.
Sie haben während der Proben und auch jetzt während den Aufführungen immer 100 Prozent als Malerin gearbeitet. Wie sah Ihr Tag aus?
Mein Chef ist mir entgegengekommen: Während der Aufführungszeit, wenn am Abend eine Vorstellung war, durfte ich am nächsten Tag erst um 9 Uhr anfangen, statt um 7 Uhr. Ich blieb dafür abends etwas länger, um das im Lauf der Woche wieder zu kompensieren.
Was ist Ihre Aufgabe im Unternehmen?
Ich mache alles, was der Beruf mit sich bringt: streichen, schleifen, abdecken … alle Arbeiten. Zusätzlich bin ich die Chefin über die Hebebühnen. Das ist etwas, das mir liegt und das ich gut beherrsche.
Weshalb haben Sie Malerin gelernt?
Ich bin gern kreativ. Am liebsten mag ich die Abwechslung, die man in diesem Beruf hat und ich arbeite sehr gern mit Kunden zusammen.
Was gefällt Ihnen am Malerberuf?
Wie gesagt, die Arbeit ist abwechslungsreich, es wird nie langweilig, ist nie monoton. Das Schönste daran ist, dass ich am Ende immer das Resultat sehe.
Gibt es irgendeine Verbindung zwischen Ihrem Beruf als Malerin und dem Schauspielern und Schwingen?
Nein, das sind wirklich verschiedene Welten und das gefällt mir, denn so kann ich jeweils gut abschalten.
Text: Marcus May
Fotos: Basil Stücheli und zVg
Rahel von Känel, Jahrgang 2000, lebt in Reichenbach BE, wo sie auch zur Schule ging. Seit 2011 ist sie mit dem Schwingsport eng verbunden, im Lauf der Jahre holte sie insgesamt acht Kränze, davon zwei eidgenössische. 2020 zwang sie eine Verletzung dazu, mit dem Leistungssport aufzuhören. Ihre Lehre absolvierte sie bei der Malerei H.P. Blättler in Interlaken, seit April ist sie bei der Jäck AG Unterseen fest angestellt. Vom Zürcher Autor und Komiker Beat Schlatter wurde sie angefragt, die Hauptrolle in seinem Stück «Wyberhagge, Drama am Schwingfescht» zu übernehmen, das vergangenen Sommer im Ballenberg aufgeführt wurde.